Von unserem Autor Michael
Die Klauen bohrten sich durch den Balken und kamen so dicht vor Gelis Gesicht zum Halten, dass ihre Haare in der Hitze schmolzen. Das Holz verfärbte sich schwarz, Rauch kräuselte auf.
Das Brüllen verwandelte sich zu einem heiseren Keuchen. Lüstern, voller Vorfreude. »Was werde ich finden, wenn ich dieses Streichholz wegräume, hm?«
Nur noch eine Phiole! Zitternd zog Geli das Weihwasser aus ihrem Gürtel. »Schau doch nach, du Schabe!«
Sie wurde enttäuscht. Die Antwort kam kühl und beherrscht. »Gerne, meine Liebe. Mit der gebührenden Vorsicht. Ich mache doch nicht mein Spielzeug kaputt.«
Die Klaue schloss sich um den Balken. Zog ihn fort, als wäre es Pappkarton. Für einen Moment fühlte sich Geli erleichtert, sie atmete wieder freier. Als das Gewicht von ihrem Bauch verschwand, explodierte der Schmerz in ihr. Ein Hustenanfall schüttelte sie durch. Die Trümmer um sie färbten sich rot.
Geli zwang sich zur Ruhe, doch es war zu spät. Direkt vor ihr glühten zwei Augen gelb auf. Ihre Hand fuhr wurfbereit nach oben, aber eine Klaue fing sie in einer spielerischen Bewegung ab.
»Nicht doch. Das hier ist für dich.«
Langsam schloss sich die Klaue um ihre Hand. Sie spürte das Glas bersten. Das Weihwasser glühte tiefblau auf. Geli wartete auf den Schmerz, doch sie fühlte nichts. Lautlos fraß sich das heilige Wasser durch ihre Hand, durch ihren Arm, bis es ihr Herz fand.
»Willkommen zu Hause, Teuerste!«
Durch Gelis Lider schimmerte das erste Morgenlicht. Nach zwei tiefen Atemzügen beruhigte sich ihr rasender Herzschlag. Ihre Hand tastete instinktiv nach dem Medaillon um ihren Hals, umschloss es krampfhaft. Sie schüttelte den Traum ab, stimmte sich auf den neuen Tag ein.
Sie drehte sich zum Fenster. »Au!« Es blieb beim Versuch. Halbherzig flatterten ihre Lider auf. Sie sah in zwei blaue Augen. In ein Gesicht. So nah, dass sie nur die Lippen zu einem Gutenmorgenkuss spitzen musste.
Geli grübelte kurz. »Toni?«
Er zog fragend die Braue nach oben. »Guten Morgen, Angelica.«
Gut. Sie hatte richtig geraten. »Hast du etwas dagegen, dass ich heute Morgen dusche?«
»Äh – wie? Ich meine, nein?«
Sie kicherte. »Dann nimm doch deinen Kopf von meinen Haaren.«
Er lächelte. »Deine Augen schimmern wie das Frühlingsgrün des Waldes.« Lachend drehte er sich zur Seite.
Geli begrub sein Gesicht in ihrer rotblonden Mähne und bedankte sich mit einem innigen Kuss. Sie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Vor dem Fenster sang eine Amsel. Frühlingshafte Morgenluft bewegte die Vorhänge und strich über ihre Haut. Versonnen lächelte sie. Der Gedanke an eine Tasse Tee ließ die letzte Müdigkeit aus ihrem Körper fließen. Beuleys Schwarztee! Und das so weit weg von der Heimat! Die Vorfreude ließ ihre Augen leuchten. Rasch drehte sie sich um. »Mach hin, ich hab zu tun.«
Toni setzte sich mürrisch auf. »Kein Nachschlag?« Seine Blicke jagten Schauer über ihren Körper.
»Nope. Eine Nacht reicht für meinen Hormonhaushalt.« Sie warf ihm lachend seinen Slip ins Gesicht. »Du hast zehn Sekunden, um dich in die Klamotten zu werfen, oder du stehst nackt vor der Basilica di San Pedro!«
Toni warf ihrem Körper noch einen wehmütigen Blick zu, brummelte etwas Unverständliches vor sich hin, griff seinen Slip und wälzte sich aus dem Bett.
»Tschüss, mein Lieber.« Geli verschloss die Tür hinter Toni. »Good riddance.«
Die Ruhe tat Geli gut. Sie öffnete sich den Geräuschen des Morgens. Der Gesang einer Amsel überlagerte den gedämpften Lärm des morgendlichen Straßenverkehrs. Die Melodie brachte ihr Herz zum Glühen. Sie griff sich ihr Pad. Einen Moment später begleitete die Amsel die Stimme von Cat Stevens:
Morning has broken like the first morning
Blackbird has spoken like the first bird
Praise for the singing
Praise for the morning …
Wie würde sie den Morgen begehen? Duschen, Tee, Frühstück? Frühstück, Tee, Duschen? Sie konnte sich nicht entscheiden. Schließlich holte sie eine Bürste, setzte sich auf das Fenstersims und ließ ihre rotgoldene Pracht in der Morgensonne aufleuchten. Wehmütig stellte sie fest, dass sich erste grau Haare daruntermischten. Wie lange wollte sie noch so weiterleben? Sie verdrängte den Gedanken und genoss die Wärme der Strahlen auf ihrer Haut.
Endlich hatte sie sich entschieden. Sie brühte Wasser auf, füllte einen Teelöffel Beuleys in das Sieb und tauchte es ins Wasser. Der braune Zucker war aus. Mit einer Tasse in der Hand setzte sie sich zurück aufs Sims. Ihr Blick wanderte, begleitet von einem zufriedenen Seufzer, über die Dächer der Altstadt. Die beklemmenden Bilder der Nacht kamen zurück.
Das Handy auf dem Nachttisch vibrierte, Geli stand widerwillig auf und warf einen Blick auf das Display. Anonym. Sie nahm das Gespräch an. »Ja?«
»Costa hier, Miss McGrath. Der Kardinal wünscht Sie zu sehen, wann könnten Sie eintreffen?«
»Ich bin in meiner Dienstwohnung, in dreißig Minuten bin ich da.«